„In meinem Kopf passiert so viel, aber das meiste sieht man von außen nicht. Deswegen habe ich mich mit dieser Karte verbunden gefühlt.“ Dieser Satz bleibt bei mir hängen. In der Mitte unseres Sitzkreises liegt eine Dixit- Karte, ein Kopf, der mit einem Schlüssel aufgesperrt wird. Heraus fliegen viele Gedanken, die aussehen wie kleine Leuchtkugeln. Ein Mädchen zeigt die Karte in die Runde, die anderen Teilnehmerinnen nicken zustimmend.
So beginnt das erste Treffen der Mädchen*gruppe von Peace in Mind. Die Aufgabe war drei Bilder auszuwählen, die die eigene Welt zeigen. Es gibt kein Richtig oder Falsch, aber den Raum Gedanken auszudrücken, die sonst keinen Platz finden. Was passiert, wenn man Mädchen einen Ort gibt, an dem sie die Dinge, die man von außen nicht sehen kann, teilen können, ohne verurteilt zu werden?
Was ist eine Mädchen*gruppe überhaupt?
Eine Mädchengruppe soll genau das schaffen: Einen Ort, an dem junge Menschen sich ohne Scham und ohne Bewertung zeigen können.
Es ist kein Klassenzimmer. Keine Selbsthilfegruppe. Sondern ein Schutzraum für junge Mädchen und weiblich gelesene Personen, die oft mit Rollenerwartungen, familiärem Druck oder mentaler Belastung konfrontiert sind.
Gerade Mädchen* lernen früh, zu funktionieren, zu gefallen, zu leisten. Die Gruppe gibt ihnen einen Ort, an dem sie das nicht müssen. An dem sie sich selbst und anderen zuhören. An dem sie sagen dürfen: „Das ist mir zu viel.“ Oder: „Ich weiß es gerade nicht.“ Und das ist okay.
Mentale Gesundheit als Praxis
In der Gruppe geht es um mentale Gesundheit. Nicht als abstraktes Konzept, sondern als gelebte Praxis: durch Rituale, durch Austausch, durch kreative Ausdrucksformen und kleine Gewohnheiten, die sie im Alltag stärken. Es geht ums Zeigen und Gesehenwerden.
Praxis
Bereits nach den ersten Treffen wird klar, es besteht viel Mitteilungsbedarf. Was wäre, wenn es nicht die Ausnahme, sondern die Regel wäre, dass junge Menschen über ihre Gefühle sprechen können, ohne dass sofort eine Lösung, ein Urteil oder ein „Reiß dich zusammen“ kommt? Wenn mentale Gesundheit nicht erst dann zum Thema wird, wenn nichts mehr geht, sondern da, wo die kleinen Alltagsfragen beginnen: „Was löst bei mir Stress aus?“ „Wie kann ich mich um mich selbst kümmern?“ „Wie kann ich mich selbst besser wahrnehmen?“ Was würde sich verändern, wenn wir solche Fragen und Rituale in unseren Alltag holen, nicht nur in Projekten, sondern als Teil der Bildung und des Miteinanders? Eine Mädchen*gruppe ist nur ein Anfang. Aber so ein Anfang kann die neuen Möglichkeiten denkbarer und greifbarer machen.
Peace in Mind ist ein Projekt des International Rescue Committee das solche Anfänge möglich machen möchte. Es wird an einer Stadtteilschule in Leipzig umgesetzt und findet in enger Kooperation mit der Schulsozialarbeit statt, die das Projekt mit ihrem Engagement und vertrauensvoller Beziehungsarbeit unterstützt.
IRC stellt ein kostenloses Praxishandbuch zur Verfügung, das im Rahmen des Projekts Mädchen Mischen Mit entwickelt wurde. Es richtet sich an alle, die mit Mädchen arbeiten oder Mädchen*gruppen begleiten und bietet praxisnahe Unterstützung und Impulse.
Photo: IRC